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Viele Menschen sehnen sich danach, mehr über die eigene Zukunft zu erfahren. Sie erhoffen sich eine Antwort vom Blick in die Gene. Doch wie viele verlässliche Informationen über den Ablauf unseres Lebens liegen verschlüsselt in den Erbanlagen? Die Wissenschaft gibt immer mehr Antworten.

 

Es ist der Traum vieler Menschen: das Wissen um die eigene Zukunft. Die Gentechnik hat diese Lust auf eine umfassende Kenntnis des eigenen Ichs in einer besonderen Weise genährt. Sie offeriert einen Einblick in ein kostbares Gut: unsere Gesundheit. Seit seelenlose Maschinen das menschliche Erbgut in seine Bestandteile zerlegt haben, versuchen Wissenschaftler diese Botschaft zu entschlüsseln: Ist es Erb-gut oder eher Erb-schlecht?

Eine einfache Frage, deren Antwort tatsächlich eine wesentliche Erkenntnis bringt, die wiederum so neu nicht ist. Wir sind für unser Leben (weitgehend) selbst verantwortlich. Auch wenn wir das nicht mögen: Die Gene zählen nicht als Ausrede für Versagen, Fehlverhalten, Frustration oder den Bierbauch. Damit ist der Hype um die Möglichkeiten der genetischen Analyse eingeordnet. Nein, unser Leben steht nicht programmiert und fest verankert in den Genen geschrieben.

Da wirkt es übertrieben, die Genforschung trotzdem als Schlüsseltechnologie unseres Jahrhunderts zu bezeichnen. Sie ist es aber zweifellos. "Die Entwicklung der Gentechnik in der Medizin hat die Erwartungen bisher erfüllt, wenn man die Möglichkeiten mit einer realistischen Brille betrachtet", sagt Martin Stetter, Gentechnik-Experte bei Siemens. Er betreut dort das Projekt "GeneSim", eine Datenbank zur Entwicklung individueller Therapien.

Eine kurze Bilanz: Etwa 30.000 Gene finden sich in unserem Erbgut, manche viel primitiveren Lebensformen haben übrigens deutlich mehr. Beim Menschen existiert für etwa 20.000 Gene eine konkrete Hypothese, welche Aufgabe sie besitzen. Die allermeisten liefern einen kleinen Anteil in einer Folge von komplizierten, mehrstufigen Prozessen. Denn für unser Erbgut passt das "Ein Gen = eine Funktion"-Schema nicht. Es gibt kein Gen, das beispielsweise allein für Haarausfall verantwortlich wäre.

Der Alltag im Körper sieht anders aus. "Eine holländische Forschergruppe hat 70 Gene identifiziert, die an der Entstehung von Brustkrebs beteiligt sind", erklärt Stetter. Bei einer Gruppe aus den USA waren es sogar mehr als 100. Leider wies die Übeltäterliste der beiden Arbeitsgruppen nur wenig Gemeinsamkeiten aus. "Heute wissen wir, dass beim Krebs an der Bildung von Metastasen in verschiedenen Organen auch verschiedene Gene beteiligt sind", erklärt Stetter, warum der scheinbare Widerspruch keiner ist.

Was aber passiert bei der Genanalyse? Die Zukunft liegt in der Messung der Aktivität der Gene im Stoffwechsel. Mehrere Tausend von ihnen werden gleichzeitig beobachtet und das Verhalten von einer gesunden und einer kranken Zelle verglichen. Solche Sensoren, die schnell ein genetisches Aktivitätsprofil einer Zelle liefern, sind mittlerweile Standard. Sie bilden den Türöffner für die Antwort, wie Gene Krankheiten beeinflussen.

Welche Gene haben bei Krankheit eine höhere Aktivität, welche werden weniger verwendet? Aus dieser Auswertung lässt sich der Anteil des Erbguts ermitteln, der an der Krankheit beteiligt ist. Mit verschiedenen Schleifen wird die Zahl der Gene immer weiter eingeschränkt. Schließlich lässt sich eine Gruppe von Genen bestimmen, die vermutlich die Verantwortung trägt, wenn eine gesunde Zelle krank wird. Damit wäre das Geheimnis der Krankheit entschlüsselt ­ eine Zelle verändert ihre Funktion, der Mensch erkrankt. Erst diese Erkenntnis zeigt den Weg zu einer konkreten Diagnose.

Entweder kann eine Gruppe von Genen direkt zur Identifikation einer kranken Zelle genutzt werden, oder die Forscher verwenden ein Protein, das von diesen Genen erzeugt wird, als Marker für den Beginn der Krankheit. 500 solcher Bio-Marker werden bereits heute für die Diagnose verwendet, direkte Ergebnisse der Genforschung. In wenigen Jahren könnten es schon 5000 sein. Das Herzstück der jungen Wissenschaft ist neben der menschlichen Zelle vor allem der Computer.

Das war in der Gentechnik immer so. Die Biologie der Neuzeit funktioniert nur mit gewaltiger Rechnerleistung. Es sind IT-Spezialisten, die die Ergebnisse der Mediziner auswerten. Alle großen Universitäten haben ihre Rechenzentren mit dieser Forschung beauftragt. Dahinter steht ein großes Geschäft. Kaum eine andere Grundlagenforschung verspricht so große Erlöse wie die Gentechnik. Während es oft Jahrzehnte dauert, bis Wissenschaft profitabel wird, winkt hier ein schneller Erfolg. Das Patent auf einen Bio-Marker für eine große Volkskrankheit kann einer Pharma-Firma Millionen einbringen.

Deshalb verfolgen auch große Unternehmen wie Siemens Projekte in der Genforschung. "Für uns ist die Datenbank auch die Basistechnologie für andere Aufgaben", erklärt Stetter. "Wir werten nicht nur die medizinischen Daten aus, sondern verwerten auch Texte aus wissenschaftlichen Studien." Wer ein ausgedehntes Netzwerk wie das Zusammenspiel von Tausenden Genen beherrscht, kann auch andere, weniger komplizierte Systeme analysieren. Ein Zukunftsgeschäft: Martin Stetter wird im Dezember firmenintern als "Erfinder des Jahres" ausgezeichnet.