Eine US-Firma will das Leben von Rollstuhlfahrern verbessern. Mit mechanischer Hilfe sollen sie wieder stehen und sogar einige Schritte machen können. Sieben Rehabilitationskliniken in Europa nutzen die Maschine bereits – der Test wird jetzt auch in Deutschland starten.

 

Amanda Boxtels Augen strahlen: "Das Gefühl, wieder auf meinen eigenen Beinen stehen zu können, ist unbeschreiblich", berichtet die 43-Jährige. Seit einem Skiunfall vor zwanzig Jahren sitzt sie im Rollstuhl. Jetzt kann sie wieder aufrecht stehen und einige Schritte machen: Amanda Boxtel hat sich dafür an eine besondere Gehhilfe angeschnallt. Eine Art stummer Diener, hergestellt von der US-Firma Ekso Bionics, hilft ihr beim Stehen – und bewegt sogar ihre Beine.

"Ich bekomme nie genug davon", sagt die kräftige, durchtrainierte Frau. Sie genießt es, sich endlich wieder auf Augenhöhe mit den Mitmenschen zu unterhalten. "Rollstuhlfahrer haben es in Gesellschaft immer etwas schwerer, sie fühlen sich oft nicht zugehörig, weil sie sitzen", sagt sie.

Boxtel hat das Privileg, den Assistenten für Querschnittgelähmte ausprobieren zu dürfen. Die Kanadierin ist mit Ekso Bionics quer durch Europa unterwegs und stellt die Erfindung in Krankenhäusern und Reha-Kliniken vor. Sieben europäische Kliniken nutzen den stummen Diener bereits, in den USA sind es schon zehn. "Wir wollen auch in Deutschland das Gerät testen lassen", erläutert Andy Hayes, Managing Director bei Ekso Bionics.

Amanda Boxtel kann sich selbst das Gerät anziehen. Nach drei Minuten hat sie die Klettverschlüsse um Waden, Oberschenkel und den breiten Bauchgurt geschlossen. Auf dem Rücken trägt sie einen Rucksack mit der Elektronik und dem Motor, der die Halterungen steuert, die ihre Beine bewegen. 23 Kilogramm wiegt der stumme Diener, aber die Testpilotin spürt davon nichts. Das Hilfsmittel trägt sich selbst auf seinen zwei Beinen.

Wenn Amanda Boxtel läuft, ist ihr Gangbild harmonisch, zusätzlich gestützt auf zwei Krücken macht sie kurze, langsame Schritte. 15 Sensoren kontrollieren jede Bewegung, das Aufsetzen der Füße und lösen notfalls Alarm aus. Vier Stunden reicht die Batterie. Doch selbst für einen sportlichen Menschen wie Amanda Boxtel war der Beginn der neuen Mobilität nicht einfach: "Ich musste den Gleichgewichtssinn neu trainieren."

120 Querschnittgelähmte haben die Maschine bisher getestet, sind zusammen 160 000 Schritte gelaufen. "500 Schritte waren bislang die längste Strecke", ergänzt Andy Hayes. Die Testperson waren nicht nur sportliche Menschen. "Der Älteste war 83 Jahre alt. Bisher gab es nur eine Person, die es trotz intensivem Training nicht geschafft hat."

Er weiß aber, welche Phantasien die Erfindung bei den Gelähmten erzeugen kann. "Wir dürfen nicht so große Hoffnungen wecken", sagt Andy Hayes. Die Erfindung sei nur eine Hilfe, niemand werde deshalb wieder richtig laufen können. Das bestätigt auch Amanda Boxtel: "Längere Strecken lege ich natürlich weiter mit dem Rollstuhl zurück." Auf dieses Hilfsmittel wird sie immer angewiesen bleiben. "Damit habe ich mich längst abgefunden", sagt sie.

In seinen Gesprächen erlebt Andy Hayes sogar offenen Widerstand. "Manche Rollstuhlfahrer fragen, warum wir dieses Gerät gebaut haben", erzählt er. "Sie werfen uns vor, dass wir sie im Rollstuhl sitzend nicht als vollwertige Menschen betrachten." Die meisten Querschnittgelähmten hätten eine Zeit gebraucht, um ihr neues Leben zu akzeptieren. "Jetzt kommen wir und zeigen ihnen, dass sie wieder stehen und gehen können", sagt Hayes. Er hat Verständnis: Das sei keine einfache Situation für die Querschnittgelähmten.

Ekso Bionics sieht die Hauptanwendung des stummen Dieners deshalb in der Rehabilitation. 120 000 Euro koste das Gerät aus Carbonfaser, Titan und Aluminium derzeit, so Hayes. "Unser Ziel ist es, den Preis auf unter 40 000 Euro zu senken, wenn wir mehr produzieren." Ein für Privatleute immer noch teures Hilfsmittel. Zwei Privatkunden hat die Firma dennoch bereits gefunden.

In Reha-Kliniken soll die Gehhilfe jetzt das Körperempfinden der Querschnittgelähmten verbessern und die Körperfunktionen unterstützen. "Der Mensch ist nicht zum dauerhaften Sitzen gebaut, das merkt man schon", ergänzt Amanda Bostel, "mir hilft es sehr, wenn ich zwischenzeitlich stehen kann."

Auch in der Rehabilitation wird es auf das Feingefühl der Therapeuten ankommen. Manche Klinik verzichte auf den Einsatz, weil es wichtiger sei, den Menschen klarzumachen, dass ihr neues Leben überwiegend mit dem Rollstuhl stattfinden werde, sagt Hayes.

Ekso Bionics will die psychologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Laufhilfe zusammen mit den Krankenhaus-Partnern in einer weltweiten Studie untersuchen. In NRW soll sich das Uniklinikum in Aachen am Versuch beteiligen.