Die Insekten sind Orientierungskünstler. Sie setzen Duftmarken, merken sich bestimmte Stellen und nutzen notfalls sogar Magnetfelder. Auch Ameisen haben ihre eigene Methode, sich zu orientieren.
Jeder neue Ausflug ist wieder eine Begegnung mit dem Tod und mit der Unsicherheit nicht zurückzufinden. Für die meisten Ameisen gibt es nur einen Lebenszweck: die Suche nach Nahrung für den Rest der Großfamilie, die im Ameisennest den Nachwuchs aufzieht. Dafür legen die Insekten weite Wege zurück. Ihre bemerkenswerte Fähigkeit, immer wieder ihr Nest zu finden, hat sie zu einem begehrten Studienobjekt gemacht.
Eine Waldameise in Europa hat es dabei noch leicht. Sie folgt meist der Duftspur ihrer Artgenossen, rasch entsteht eine Ameisenstraße. Je frequentierter diese ist, desto stärker duftet sie. Jedes Tier verstärkt mit seiner eigenen Duftspur die Spur zum Futterziel. "Im Wald lohnt es sich, wenn viele Ameisen in eine Richtung gehen", erklärt Markus Knaden, Ameisenforscher vom Max-Planck-Institut in Jena, "dort gibt es oft eine üppige Nahrungsquelle wie Blütennektar oder Blattläuse an einem Ort."
Knadens Studienobjekte sind Einzelgänger. Ameisen in der Wüste. Sie suchen tote Insekten oder Teile davon. "Ihre Beute wurde vom Wind in die Wüste geweht und verendete dort", erklärt der Verhaltensforscher, "da lohnen keine Ameisenstraßen und eine Duftspur würde in der Sonne schnell verdunsten." Die hochbeinigen Ameisen huschen auf ihren sechs Beinen über den 60 Grad heißen Wüstenboden. 70 Zentimeter laufen sie in der Sekunde. "30 Minuten, maximal 45 können die Ameisen außerhalb ihres Nests auf Nahrungssuche gehen", erklärt Knaden, "sonst werden sie von der Sonne ausgetrocknet."
Die Insekten haben sich diesen extremen Bedingungen angepasst. Ihre Augen können das Sonnenlicht so filtern, dass die Ameisen wissen, in welche Richtung sie laufen. Der Schlüssel dazu steckt im Ameisenhirn. Dort werden bestimmte Zellen (Neuronen) nur dann aktiviert, wenn das Licht aus einer bestimmten Richtung kommt. Das haben Biologen vor sechs Jahren nachgewiesen, in dem sie Wüstenameisen im Sonnenlicht gedreht haben und die Aktivität der Neuronen untersuchten.
Mehr noch: Die Ameisen wissen auch, wie lange sie in eine bestimmte Richtung gelaufen sind – sie können sich offenbar die Anzahl ihrer Schritte merken. Wegintegrator nennen die Forscher dieses interne Navigationssystem. "Wenn man eine Ameise in der Wüste fängt und sie weiter weg wieder aussetzt, wird sie zunächst den gleichen Weg zurücknehmen wie vorher", erklärt Markus Knaden. Für gewöhnlich erkennt das Tier den Eingang zum Nest am dortigen Ausstoß von Kohlendioxid durch seine Artgenossen.
Ameisen können das für uns geruchlose Gas wahrnehmen, es ist ein sicheres Indiz: Hier gibt es eine größere Menge Ameisen. Wenn die Ameisen ihr Nest mit dem Wegintegrator nicht finden, beginnen sie mit einer spiralförmigen Route und suchen gezielt nach der ihnen bekannten Duftspur.
Doch der Schrittzähler und Duft sind nicht die einzigen Hilfsmittel. Die Forscher aus Jena boten den Insekten sogar naturfremde Anreize, um sich ihre Herkunft zu merken. Sie erzeugten am Eingang des Nestes ein sehr starkes Magnetfeld oder bestimmte Vibrationen. Beide, obwohl völlig fremde Signale, wurden von Ameisen direkt zur Orientierung in der kargen Landschaft verwendet. Allerdings musste jedes Insekt die Signale einzeln erlernen. "Ameisen können ihr Wissen nicht weitergeben, sie lernen nicht voneinander", sagt der Verhaltensforscher.
Die Biologen sind sicher, dass auch die europäischen Artgenossen die Fähigkeiten ihrer Wüstenkollegen beherrschen – also Sonnenlicht auswerten, Magnetismus fühlen und Vibration wahrnehmen. Hier ist es allerdings viel schlechter zu testen: Wenn eine europäische Ameise aus ihrer Duftspur entrissen, und andernorts wieder ausgesetzt wird, kann sie sich meist trotzdem orientieren. Sie verwendet Wegemarken: Orte und Gerüche, die sie kennt, wo sie schon einmal war. Die Ameise ist vielseitig: Jedes Merkmal für die Orientierung zählt.