Wer über die "Pille danach" spricht, meint in Deutschland zwei Wirkstoffe, mit denen bei Frauen der Eisprung verhindert oder verzögert werden kann. Dadurch wird eine Schwangerschaft nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder Vergewaltigung in mehr als 98 Prozent der Fälle verhindert. Doch erst in den letzten Jahren konnten Forscher Details zur Wirkungsweise der Medikamente entschlüsseln. Verändern sie nur den Eisprung – oder behindern sie auch die Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter, das sich dadurch nicht weiter entwickeln könnte?
Der klassische Wirkstoff für die "Pille danach" ist Levonorgestrel (LNG) – ein Geschlechtshormon, das 1966 auf den Markt kam und auch in der normalen Anti-Baby-Pille, der Spirale oder bei Hormontherapie in den Wechseljahren eingesetzt wird. Im Oktober 2009 erhielt zudem Ulipristilacetat (UPA) die europäische Zulassung – eine synthetische Substanz, die wie auch LNG auf den Progesteron-Rezeptor einwirkt. Dieser Rezeptor reguliert quasi die Ausschüttung eines der Hormone, die für die Reifung der Eizellen nötig sind: das LH (Luteinisierendes Hormon).
Viele Frauen kennen dieses Hormon aus Fruchtbarkeitstests. Wenn die LH-Konzentration im Blut ansteigt, reifen die Eier heran, und der Eisprung steht unmittelbar hervor. Die "Pille danach" sorgt dafür, dass die Produktion von LH blockiert wird. Der Eisprung wird zumindest so lange verzögert, bis die Spermien abgestorben sind. Das neue Präparat UPA kann den LH-Spiegel sogar senken und damit noch sehr kurz vor dem Eisprung diesen verhindern. Damit wirkt es sicherer gegen Schwangerschaften als Konkurrent LNG, der bei einem erhöhten LH-Spiegel häufig wirkungslos bleibt, sagt Klaus Czort, Geschäftsführer von HRA-Pharma in Bochum, die die "Pille danach" vertreibt.
Lange Zeit ist vermutet worden, dass der Einfluss der "Pille danach" auf die Progesteron-Rezeptoren zusätzlich auch die Einnistung eines befruchteten Eis in der Gebärmutter erschwere. Doch diese Theorie, die immer nur eine bloße Vermutung war, scheint falsch zu sein.
"Die Medikamente haben zwar geringfügige Auswirkungen auf die Gebärmutterschleimhaut, diese haben aber im Kontext der Schwangerschaftsverhinderung keine Bedeutung", berichtet Klaus Czort über jüngste Forschungsergebnisse seiner Firma. Zwar stehe dieser alternative Wirkmechanismus noch in den Fachinformationen zur "Pille danach", das werde aber bald geändert. Diese Informationen könnte der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, gemeint haben, als er seine Einstellung zum Einsatz der "Pille danach" überdachte.
Die Debatte wird seit Jahren auch von der Diskussion über die Rezeptpflicht für die Mittel mit dem Wirkstoff LNG begleitet. Während in Deutschland Frauen zunächst einen Arzt aufsuchen müssen, kann die "Pille danach" im europäischen Ausland meistens ohne Rezept direkt in der Apotheke gekauft werden. "In Frankreich werden jährlich mehr als 1,6 Millionen Packungen der ,Pille danach' verkauft", sagt Czort. In Deutschland sind es nur 440 000 Stück – obwohl hier fast 20 Millionen mehr Menschen leben.
Der schnelle, unkomplizierte Zugang zur "Pille danach" müsse für Frauen eine Selbstverständlichkeit sein, fordert beispielsweise Pro Familia und will den "Hindernislauf der Frauen besonders am Abend oder am Wochenende" beenden. "Frauen, Männer und Jugendliche haben das Recht auf Zugang zu sicheren, gesundheitsschonenden und finanzierbaren Verhütungsmitteln", heißt es in der Kampagne "Pannenhilfe nach 6".
Der Berufsverband der Frauenärzte und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe lehnen dieses Ansinnen vehement ab. Sie verweisen auf die "dringend nötige Beratung der Frauen in einer speziellen Situation" und "die nicht zu vernachlässigenden Nebenwirkungen" wie Thrombose, Kopfschmerzen oder Übelkeit.
Zudem stünde in Deutschland ein ärztlicher Notdienst rund um die Uhr zur Verfügung. "Abends und nachts werden in den Apotheken die Medikamente durch einen kleinen Fensterspalt gereicht. Weder wäre unter solchen Bedingungen eine Beratung möglich, noch würde der Intimität der Situation Rechnung getragen", heißt es einem offenen Brief an mehrere Bundestagsabgeordnete vom November 2012.
Beide Berufsverbände sehen den neuen Wirkstoff UPA "als neuen Standard" zur Notfallbehandlung, weil er eine "deutlich höhere Wirksamkeit" und "eine längere Einnahmemöglichkeit" besitze. "Alle bis auf einen Hersteller haben deshalb den Vertrieb von LNG in Deutschland bereits eingestellt", heißt es. Bisher wurde in Deutschland LNG häufiger als UPA verwendet.